Gewerke-übergreifende Experten sind rar

Verantwortungs-Übernehmer gesucht

14. Oktober 2022, 6:00 Uhr | Autor: Folker Lück / Redaktion: Stefan Adelmann und Diana Künstler
© bestyy38/123rf

Der Smart-Home- und Smart-Building-Markt wird in den nächsten Jahren weiter expandieren. Doch in welchen Segmenten wächst er und wer profitiert? IT-Fachhändler, Haustechniker, Sanitär- oder Elektroinstallateure? Gibt es bereits Systemhäuser, die komplette Projekte als Generalunternehmer abwickeln?

Der Artikel liefert Antworten auf folgende Fragen:

  • Wer nutzt alles Smart-Home-Technologie?
  • Wie gestaltet sich der Smart-Home-Markt generell?
  • Welche Rolle spielen altersgerechte Lösungen im Smart-Home-Umfeld?
  • Welche Parteien sind in die Integration solcher Technik involviert?
  • Welche Anlaufstellen bieten sich für Smart-Home-Interessierte an?
  • Welche Fördermöglichkeiten gibt es?
  • Warum mangelt es an Gewerke-übergreifen Experten in diesem Feld?

Von den Statistikern werden die im Zeitraum von 1955 bis 1969 Geborenen als geburtenstarke Jahrgänge bezeichnet, international auch Boomer oder Babyboomer genannt. Ganz einig ist man sich da zwar nicht, denn etwa der Philosoph Christoph Quarch sieht eher die Jahrgänge 1960 bis 1975 als Babyboomer. US-Soziologen sprechen hingegen viel lieber über die Jahrgänge 1965 bis 1980 als „Generation X“. Doch ganz gleich, ob man eher zu den Statistikern, oder zu Soziologen und Philosophen tendiert, ist eines klar: Diese stark vertretene Generation nähert sich gerade in großen Schritten dem Ruhestand an! Wer 1960 geboren ist, wird in spätestens fünf Jahren ein Rentner sein. Wer krank ist oder es sich finanziell erlauben kann, ist vielleicht schon heute im Ruhestand.

Diese Generation hat quasi die gesamte, bisherige Computer-Evolution miterlebt: In ihren Kinder- oder Jugendzimmern standen – aus heutiger Sicht – unglaublich teure, aber leistungsschwache Konsolen-Rechner und später die ersten Personal Computer, deren Fähigkeiten heute selbst von einem Billig-Smartphone weit übertroffen werden. Deutlich wird aber: Den Baby-Boomern ist der Umgang mit Computern keineswegs fremd – die große Mehrheit kann man als relativ „IT-affin“ bezeichnen.

Auch das Thema Smart Home ist den Boomern keineswegs fremd. Wer in den vergangenen Jahren Bauherr geworden ist, hat wahrscheinlich bereits Smart-Home-Technologie für die eigenen vier Wände angeschafft. Und wer als selbständiger Unternehmer tätig ist, hat womöglich auch schon beauftragt, dass ein Bürogebäude „smart“ ausgebaut wird. Kurzum: Hier verlässt in Kürze eine große und zumeist kaufkräftige Klientel die berufliche Bühne – völlig klar, dass diese Generation auch im Seniorenalter weiter auf smarte Technologien setzen wird, zumal aktuell ja selbst staatliche Stellen formuliert haben, dass sie „smarte“ Bemühungen zur Einsparung (fossiler) Heizenergie als sehr wünschenswert betrachten.

Nicht zuletzt: Marktforschungszahlen von Bitkom Research belegen1, dass unter den heute 50- bis 64-Jährigen bereits jeder zweite (49 Prozent) Smart-Home-Technologie selbst nutzt. Eine Befragung der Hamburger Marktforscher von Splendid Research verdeutlicht dabei allerdings auch, dass die starke Technologie-Verbreitung ein Stück weit Definitionssache ist: Splendid Research zufolge nennen zwar 40 Prozent der Deutschen smarte Haustechnik ihr Eigen. Jedoch lassen sich nur 18 Prozent dieser Personengruppe als echte Smart-Home-Nutzer klassifizieren – die tatsächlich ein System aus untereinander verknüpften Geräten nutzen. Die übrigen 82 Prozent besitzen zwar Smart-Home-fähige Geräte, diese bilden jedoch keine eigene Systemlogik ab.

Das Smart Home wächst
  • Der Umsatz im Smart-Home-Markt wird laut Statista 2022 etwa 5,92 Milliarden Euro betragen.
  • Laut Prognose wird im Jahr 2026 ein Marktvolumen von 9,18 Milliarden Euro erreicht; dies entspricht einem erwarteten jährlichen Umsatzwachstum von 11,60 Prozent (CAGR 2022-2026).
  • Im Smart-Home-Markt wird die Anzahl der Haushalte im Jahr 2026 laut Prognose 27,7 Millionen Nutzer betragen.
  • Die Penetrationsrate wird 2022 bei 31,6 Prozent liegen und im Jahr 2026 voraussichtlich 63,9 Prozent erreichen.
  • Der durchschnittliche Erlös beträgt pro Smart Home etwa 436 Euro.
  • Im weltweiten Vergleich zeigt sich, dass am meisten Umsatz in den USA erwartet wird (28,12 Milliarden Euro im Jahr 2022).
  • Im Jahr 2021 hatten 35,4 Prozent der Smart-Home-Nutzer ein mittleres Einkommen.
  • Im Jahr 2021 zählte ein Anteil von 22,7 Prozent der Nutzer zur Altersgruppe 45 bis 54 Jahre.

Altersgerechtes Wohnen gefragt

Dennoch lassen diese Zahlen die Mutmaßung zu, dass der Einsatz von smarten Technologien in den nächsten Jahren weiterwachsen wird. Sowohl klassische Szenarien wie Beleuchtungssteuerung und Heizung legen dem Bitkom zufolge weiter zu, als auch Lösungen, die eher auf den Wunsch nach mehr Komfort und Sicherheit daheim schließen lassen: So verdoppelte sich Bitkom Research zufolge zuletzt die Nachfrage nach smarten Gartengeräten ebenso wie Lösungen zur Einbindung eines Hausnotrufsystems. Während im Jahr 2018 noch der Wunsch nach „mehr Sicherheit“ der meistgenannte Wunsch von Smart-Home-Kunden war, ist es heute bei fast vier Fünfteln (78 Prozent) die Anforderung nach „mehr Komfort und Lebensqualität“. Wer Smart-Home-Lösungen anbietet, sollte dieses Trend beherzigen, meint auch Walter Nixdorf, 1. Vorsitzender des Vereins Smart Home Paderborn e.V.: „Das Thema altersgerechtes Wohnen dürfte in den nächsten zwanzig Jahren einer der lukrativsten Märkte überhaupt sein“, ist er überzeugt.

Zwar wird auch vielen Babyboomern angesichts der aktuell explodierten Bau- und Immobilienpreise vielfach das Geld dafür fehlen, sich ein neues, seniorengerechtes Eigenheim errichten zu lassen. Deutlich erkennbar ist jedoch der Trend, dass die Babyboomer für sich mehrheitlich andere Lösungen suchen als baldmöglichst Bewohner eines Altenheims zu werden. Wer es sich gesundheitlich und finanziell irgendwie erlauben kann, wird angesichts des absehbar sich weiter verschärfenden Pflegepersonalmangels versuchen, so lange wie möglich – altersgerecht – in den eigenen vier Wänden zu leben. Das muss nicht immer das klassische Eigenheim am Stadtrand sein: Auch alternative Wohnmodelle wie Mehrgenerationenhäuser und in Eigenregie betriebene Alten-WGs sind stark im Kommen.

Fördergelder sind da

Wichtig in diesem Zusammenhang: Smart-Home-Technologie ist in Bestandsgebäuden auch weiterhin förderfähig. Wer sein Heim nachträglich mit Smart-Home-Systemen ausrüsten möchte, kann zur Finanzierung das Produkt „Alters­gerecht Umbauen“ der KfW nutzen. Wer smarte Systeme im Rahmen einer energetischen Sanierung gleich mit einbauen will, kann den Förderkredit der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) beantragen. Soll also beispielsweise ein vorhandenes Mietshaus in eine große Senioren-Gemeinschaft verwandeln werden, sind die Aussichten auf staatliche Zuschüsse und verbilligte Kredite weiterhin groß.

Wer macht was?

Kommt der Wunsch nach Smart-Home- und Smart-Building-Technologie auf, stellt sich schnell eine elementare Frage: Wer integriert die gewünschte Technik? Klar ist, dass es sich bei den genannten Szenarien in den meisten Fällen nicht um Selbsteinbaulösungen handelt. Also sind Fachleute gefragt. Diese müssen aus den Smart-Home-Interessenten erst einmal „herauskitzeln“, welche konkreten Anliegen das zu planende Smart Home/Building überhaupt erfüllen soll.

Walter Nixdorf, 1. Vorsitzender des Vereins Smart Home Paderborn e.V.: „Wir haben Schnittstellen zwischen den unterschiedlichsten Systemen und Herstellern geschaffen.“

„Wir übernehmen für Smart-Home-Interessenten eine kostenfreie Erstberatung“, erklärt Walter Nixdorf vom Smart Home Paderborn e.V. Diese Erstberatung dauert oft mehrere Stunden. „Wir stellen den Interessenten erst einmal herstellerneutral vor, welche Technologien es gibt, was damit machbar ist und welche Stärken und Schwächen es gibt“, verdeutlicht Nixdorf eine der Kernaufgaben des Vereins. „Seit 2005 beschäftigen wir uns mit der smarten Gestaltung und Ausstattung von Wohnhäusern, Miet- und Eigentumswohnungen, Geschäftsgebäuden und öffentlichen Einrichtungen. Wir haben Schnittstellen zwischen den unterschiedlichsten Systemen und Herstellern geschaffen, um von jedem möglichen System die Vorteile zu nutzen und die Nachteile wegzulassen. Es ist uns möglich auf die einzelnen Bedürfnisse der Menschen, der Lebens- und Arbeitssituation ganz individuell einzugehen“, erklärt Nixdorf.

Will der Interessent nach der Erstberatung Kontakt zu entsprechenden Fachleuten aufnehmen, nennt der Verein Betriebe, mit denen bereits gute Erfahrungen gemacht wurden. Das funktioniert in erster Linie auf regionaler Ebene, doch auch bundesweit wird Interessenten geholfen: „Die Verbandsmitglieder haben auch Kunden in Kiel oder in Bayern“, sagt Nixdorf. Der Vorsitzende macht keinen Hehl daraus, dass die Mitgliedsunternehmen des Vereins allesamt Lösungen und Dienstleistungen rund um Smart Home und Smart Building anbieten, so auch sein eigenes Unternehmen Nixdorf Smart Systems, das sich als Smart-Home-Fachplaner positioniert. Weitere Vereinsmitglieder sind beispielsweise ein Baubetrieb, ein Spezialist für Badgestaltung und Haustechnik, ein Anbieter von Lösungen für die Gebäudesteuerung und Netzwerktechnik, ein Hersteller von Fenstern und Türen, ein Anbieter von Highend-Unterhaltungselektronik. Abgerundet wird das Angebot von Steuerberatung und Finanzplanung.

Systemhaus plus Elektroinstallateur

Guido Otterbein, Sec-Com
Guido Otterbein, Systemhaus-Chef von Sec-Com: „Die Technik im Smart Building macht für uns als Systemhaus einen stetig wachsenden Anteil vom Gesamtgeschäft aus.“
© Sec-Com

Sind Konstrukte wie der Paderborner Smart-Home-Verein also die erste Anlaufstelle für Interessenten? Wie sieht es alternativ mit Systemhäusern aus, die sehr häufig auch smarte Technologien vermarkten? Viele Betriebe, die technisch meist aus dem Bereich Telekommunikation kommen, bieten beispielsweise auch Brandschutztechnik, Lösungen zur Gebäudesteuerung und Sicherheitssysteme an. „Wir implementieren als Systemhaus bei unseren Kunden regelmäßig Lösungen zur Videoüberwachung, moderne Schließsysteme, intelligente Zutrittskontrollen, Lichtrufsysteme und Alarmserver. Das sind alles Elemente, die unter den Oberbegriff Smart Building oder Smart Office fallen. Die genannte Technik im Smart Building macht für uns als Systemhaus einen stetig wachsenden Anteil vom Gesamtgeschäft aus“, erklärt Guido Otterbein, Geschäftsführer des Systemhauses Sec-Com in der Ruhrgebietsstadt Recklinghausen. Elektroinstallationen für smarte Gebäudelösungen werden durch eigene Elektriker ausgeführt. Teilweise arbeitet das Systemhaus aber auch mit externen Elektroinstallateuren zusammen und fungiert dann für den Kunden als zentraler Ansprechpartner.

Von diesem Vorgehen hält der Geschäftsführer eines Systemhauses aus dem Rhein-Main-Gebiet, der nicht genannt werden möchte, eher nichts: „Natürlich steht man in der Region auch mit Elektroinstallateuren oder Haustechnikern in Kontakt. Man arbeitet auch mal bei Aufträgen zusammen. Aber ich übernehme doch nicht für diese Kollegen bei komplizierten Smart-Building-Projekten die Verantwortung“, betont er. Als eine Art „Generalunternehmer“ für die Realisierung eines Smart Home oder Smart Building sieht sich der Firmenchef deshalb nicht.

Diese Sichtweise ist auch Günther Ohland, Vorstandsvorsitzender der Smart Home Initiative Deutschland e.V., bestens bekannt. „Viele Systemhäuser möchten selbst nichts mit Haustechnik oder dem Verlegen von 230-Volt-Leitungen zu tun haben, scheuen sich aber auch vor Reibereien zwischen den einzelnen Gewerken“, weiß Ohland. „Wer ein smartes Gebäude baut, braucht Experten für Energiemanagement, Klimatechnik, Gebäudesicherheit, IT-Security, für Multimedia-Installationen und vieles mehr“, ergänzt der Vorstand. „Ein Geschäftsgebäude ist dabei meist die einfachere Version im Vergleich zu einem gut ausgestatteten Smart Home“.

Nur wenige Experten

Günther Ohland, Smart Home Initiative Deutschland
Günther Ohland, Vorstandsvorsitzender der Smart Home Initiative Deutschland e.V.: „Viele Systemhäuser scheuen sich vor Reibereien zwischen den einzelnen Gewerken.“
© Smart Home Initiative Deutschland e.V

Seiner Einschätzung nach gibt es deshalb in ganz Deutschland „nur wenige hundert, auf jeden Fall weniger als tausend“ echte Experten, die Gewerke-übergreifend planen und hier auch die Verantwortung übernehmen. Hinzu kommen Ohland zufolge zwei weitere Probleme: Die für Smart-Home-Planungen notwendige Gewerke-übergreifende koordinierende Zusammenarbeit sei auch deshalb oft nicht beliebt, weil unter Umständen einem Partnerunternehmen ein umfangreicher Teilauftrag übergeben werden müsse, während der Koordinator womöglich zu einem bescheideneren Salär den Kopf hinhalte.

Das andere Problem sieht Ohland in der Scheu vieler Handwerksbetriebe vor dem Smart-Home-Thema: „Viele Hersteller haben 15 Jahre lang versucht, dem Handwerk das Thema Smart Home schmackhaft zu machen“, sagt er. Doch das sei vielfach nicht auf Gegenliebe gestoßen. Die Konsequenz daraus: Etliche Hersteller bieten inzwischen nur noch solche Lösungen an, die auch ein Laie selbst in Betrieb nehmen kann. Womöglich müssen viele Babyboomer ihren künftigen, smarten Altersruhesitz in Eigenregie smart aufrüsten.

1 https://www.bitkom.org/sites/main/files/2021-10/20210924_chartbericht_smart-home-2021_v3.pdf


Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu SmartHome Initiative Deutschland e.V.

Matchmaker+