Das Fit-for-55-Paket der Europäischen Union wurde zwar bereits 2021 vorgestellt, doch in diesem Jahr wird es ernst. Denn Ende 2022 beginnt die Durchsetzung der verschiedenen Richtlinien und Verordnungen. Ein Großteil betrifft gewerbliche Immobilien. Was auf Eigentümer und Betreiber zukommt.
Der Artikel liefert unter anderem Antworten auf folgende Fragen:
Der europäische Green Deal verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Klimaneutralität bis 20501. Das von der Europäischen Kommission vorgestellte Maßnahmenpaket „Fit for 55“ zur Umsetzung des Green Deal verfolgt wiederum das Ziel, die Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent zu reduzieren. Das ist eine ehrgeizige Deadline, wenn man bedenkt, dass bis 2030 nur noch acht Jahre verbleiben. Denn Gebäudeeigentümer und -betreiber stellt das vor Herausforderungen, auf Gebäude entfallen etwa 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs in der EU. Mehr als 85 Prozent der heutigen Bauten in der Europäischen Union werden auch noch 2050 stehen; dem Jahr, ab dem Europa klimaneutral sein möchte. Drei Viertel sind aber wiederum aktuell nicht „klima-fit“. Bis 2050 darf das Heizen und das Kühlen jedoch keine Treibhausgase mehr verursachen. Doch lediglich ein Prozent aller Gebäude in der EU wird pro Jahr energetisch saniert. Das ergibt eine Quote von lediglich 28 Prozent des Bestandes bis zum Jahr 2050. Das ist angesichts der 75 Prozent an Gebäuden mit zu hohem Treibhausgas-Ausstoß viel zu wenig. Einen Großteil der im Rahmen von Fit for 55 geforderten Einsparungen gilt es daher, vor allem im Gebäudebereich zu erzielen.
Die Europäische Kommission hat vor diesem Hintergrund mehrere Empfehlungen ausgesprochen. Unter anderem schlägt sie vor, die Mitgliedstaaten dazu zu verpflichten, jährlich mindestens drei Prozent der Gesamtfläche aller öffentlichen Gebäude zu sanieren, einen Richtwert von 49 Prozent an erneuerbaren Energien in Gebäuden bis 2030 festzulegen und von den Mitgliedstaaten zu verlangen, die Nutzung von erneuerbarer Energie zur Wärme- und Kälteerzeugung bis 2030 um jährlich 1,1 Prozentpunkte zu erhöhen.
Mit Blick auf das Fit-for-55-Maßnahmenpaket sind für den Immobiliensektor besonders
Einige dieser Richtlinien sind vielleicht schon bekannt, denn sie bestehen schon länger. Allerdings werden sie im Rahmen des Fit-for-55-Prozesses zum Teil überarbeitet oder neu gefasst, sodass es grundlegende Änderungen geben kann. Die AFIR beispielsweise war bis vor Kurzem noch unter dem Namen AFID (Alternative Fuels Infrastructure Directive) bekannt. Die Änderung des Status von der Richtline (Directive) zur Verordnung (Regulation) bedeutet, dass sie in den Mitgliedstaaten unmittelbar wirksam wird. Ziel der Verordnung ist die Unterstützung der Entwicklung einer EU-weiten interoperablen und benutzerfreundlichen sowie flächendeckenden Lade- und Betankungsinfrastruktur für erneuerbare Kraftstoffe und saubere Fahrzeuge. Investitionen im Bereich emissionsfreier Mobilität spielen dabei eine entscheidende Rolle.
Die überarbeitete Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) zielt auf die Förderung von Investitionen in bestehende oder neue Technologien für erneuerbare Energien ab sowie auf die Schaffung eines Energiesystems, in das ein großer Anteil erneuerbarer Energien für den Endverbrauch so effizient wie möglich integriert werden kann. Und auch auf nationaler Ebene werden die Anpassungen der Richtlinie nach Einschätzung der Experten des Beratungshauses Deloitte einige Veränderungen im EEG nach sich ziehen. So steigt zur Erreichung der Klimaziele für 2030 der Anteil der erneuerbaren Energien am Energiemix der EU von 32 auf 40 Prozent. Hierzu sollen insbesondere spezifische Zielvorgaben heruntergebrochen auf einzelne Sektoren wie Verkehr, Gebäude, Wärme und Kälte beitragen. Auch die Senkung des Energieverbrauchs sei entscheidend, um sowohl die Emissionen als auch die Energiekosten für Verbraucher und Industrie zu verringern. Die Zielvorgabe ist hier eine Energieeinsparung von 36 Prozent bis 2030.
Für die Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien am EU-Energiemix wurden für den Wärme- und Kältesektor eine verbindliche jährliche Steigerung um 1,1 Prozentpunkte des Anteils erneuerbarer Energien auf nationaler Ebene festgelegt. Als indikatives Ziel für die Industrie hat die EU eine jährliche Steigerung der Nutzung erneuerbarer Energien um 1,1 Prozentpunkte vorgesehen und eine neue Benchmark von mindestens 49 Prozent Anteil an erneuerbaren Energien für die in Gebäuden genutzten Energien vorgeschrieben.
Das Fit for 55 ist ein Paket reformierter und neuer Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Kommission zur Klimapolitik der Europäischen Union. Das Paket wurde am 14. Juli 2021 vorgestellt. Mit ihm soll das im European Green Deal verankerte Ziel, den Ausstoß von Treibhausgasen in der EU bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Ausstoß 1990 zu reduzieren und Europa bis 2050 klimaneutral zu machen, erreicht werden. Fit for 55 sieht verschärfte Klimaziele, marktorientierte Maßnahmen und ordnungsrechtliche Vorschriften vor. Einerseits sollen bestehende Klimaschutzmaßnahmen der Europäischen Union verschärft werden, andererseits sind neue Ansätze vorgesehen. |
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Die angepasste Energieeffizienz-Richtlinie (EED) sieht eine Senkung des Energieverbrauchs bis 2030 gegenüber dem Referenzszenario von 2020 um mindestens neun Prozent vor. Für die Mitgliedstaaten bedeutet dies eine Erhöhung der jährlichen Energieeinsparungsverpflichtungen um fast das Doppelte. Hiervon wesentlich betroffen sind Verkehr, Gebäude und der öffentliche Sektor, der eine Vorbildfunktion wahrnehmen soll. Das im Green Deal verankerte Gebot „Energy First“ soll im öffentlichen Sektor stets bei Investitionsentscheidungen von mehr als 50 Millionen Euro herangezogen werden. Dafür bestehen das spezifische Ziel einer Senkung des Energieverbrauchs um jährlich 1,7 Prozent und die Vorgabe, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge systematisch Energieeffizienzanforderungen Rechnung zu tragen. Des Weiteren werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, jedes Jahr mindestens drei Prozent der Gesamtfläche der Gebäude des öffentlichen Sektors zu renovieren.
Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass alle Unternehmen, die über die letzten drei Jahre einen durchschnittlichen jährlichen Energieverbrauch von mehr als 100 Terajoule hatten, verpflichtet sind, ein Energiemanagementsystem (EMAS) einzurichten. Ein regelmäßiges Energieaudit ist erforderlich, wenn Unternehmen einen durchschnittlichen jährlichen Energieverbrauch von mehr als zehn Terajoule über die letzten drei Jahre aufweisen. Somit wird künftig die Pflicht zum Energieaudit nicht mehr an die Größe des Unternehmens, sondern an den Energieverbrauch gekoppelt.
Was die EU-Gebäuderichtlinie (Energy Performance of Buildings Directive, EPBD) anbelangt, bringt die Überarbeitung nun nach Einschätzung der Bundesarchitektenkammer (BAK) den dringend benötigten Paradigmenwechsel. Bislang hätte die Europäische Kommission das Thema Klimaschutz im Gebäude weitestgehend den Mitgliedstaaten überlassen. Entsprechend unverbindlich war die EPBD auch in ihrer Wirkung. Ein Beispiel: Die Richtlinie verpflichtete zwar die EU-Mitgliedstaaten dazu, ab dem Jahr 2021 sämtliche Neubauten als sogenannte „Niedrigstenergiegebäude“ zu errichten. Was jedoch konkret unter diesem Begriff zu verstehen ist – das durfte jeder Mitgliedstaat für sich entscheiden. Entsprechend war die Richtlinie bisher ein zahnloser Tiger.
Das ändert sich nun mit der Überarbeitung, denn sie verpflichtet EU-Bürger und Unternehmen direkt, ihre Gebäude energetisch zu sanieren. Zu nennen wäre unter anderem die EU-weite Definition von Neubaustandards, sogenannte „Zero-Emission-Buildings“: Wer ab 2030 in der EU ein Gebäude neu errichtet, muss dafür sorgen, dass dieses keine klimaschädlichen Emissionen verursacht. Gebäude in öffentlicher Hand müssen diese Vorgabe schon 2027 erfüllen. Ferner gibt es verbindliche Vorgaben zur Erfassung von Gebäude-Energiedaten und die Erstellung von Energieausweisen sowie Sanierungsfahrplänen. Auch die Emissionen aus dem gesamten Lebenszyklus von Gebäuden möchte die EU-Kommission angehen. Dieses Eindeutige und Verpflichtende des aktuellen EPBD-Vorschlags mache laut BAK den eigentlichen Unterschied zu den Vorgängerversionen der EPBD.
Die Reduzierung der Netto-Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 klingt herausfordernd. Für einige geht das Fit-for-55-Maßnahmenpaket allerdings nicht weit genug. Die Umweltorganisation Greenpeace kritisiert beispielsweise, dass das Paket nicht dazu geeignet sei, die globale Erwärmung und die damit verbundene Zerstörung wichtiger lebenserhaltender Systeme aufzuhalten. Grund: Das anvisierte Ziel sei zu niedrig angesetzt. In der Kritik stehen die Einstufung von Bioenergie als erneuerbare Energie und der Verkauf von nicht emissionsfreien Autos bis 2035. Auch die Organisation Germanwatch meint, das 55-Prozent-Ziel sei nicht ausreichend. Vielmehr sei eine Anhebung auf eine Reduktion von 60 Prozent bis 2030, wie vom Europäischen Parlament gefordert, notwendig.
Auch die EU-Gebäuderichtline liefert Diskussionsstoff: Das Herzstück und sicherlich auch der umstrittenste Punkt in der überarbeiteten EPBD sei laut BAK die Verankerung EU-weiter Mindesteffizienzstandards für den Gebäudebestand (auf Englisch Minimum Energy Performance Standards, kurz MEPS). Zunächst sollen mit diesem Instrument gezielt die Gebäude mit den höchsten Energieverbräuchen angegangen werden. Hierzu soll der europäische Gebäudebestand in ein EU-weit harmonisiertes System von Energieeffizienzklassen eingeordnet werden, deren Skala sich von A bis G aufspannt. Zur Einordnung: Ein Gebäude der schlechtesten Klasse G benötigt circa achtmal mehr Energie als eines der besten Klasse A.
Für Immobilieneigentümer, deren Gebäude den beiden schlechtesten Effizienzklassen dieser EU-weit noch einzuführenden Skala (das heißt F und G) zugeordnet sind, bedeute dies eine große Umstellung, da sie ihr Gebäude bis spätestens 2033 renoviert haben müssen – unabhängig davon, ob es sich um ein öffentliches oder privates Gebäude, ein Wohngebäude oder ein Nichtwohngebäude handelt und ob es vermietet ist oder nicht. Doch einige Bauherrenverbände haben bereits kritisiert, dass die geforderten Standards für viele bestehende Gebäude nicht erreichbar seien, dass eine Sanierung in diesen Fällen keine Option sei und stattdessen Abriss und Ersatzneubau drohten. In der Tat wäre dies, so sieht das auch die BAK, für den Klima- und Ressourcenschutz kontraproduktiv. Allerdings sei man auch davon überzeugt, dass für die Mehrzahl der Bauten wirtschaftliche Lösungen gefunden werden können. Dafür würden die positiven Erfahrungen mit dem Förderprogramm „Effizienzhaus Denkmal“ sprechen. Man sollte sich zudem bewusst sein, dass die Fortentwicklung von Technologien – zum Beispiel durch den Einsatz von Robotik oder serielle Modernisierungen – Produktivität erhöhe und damit zu einer Senkung der Preise auf den Modernisierungsbaustellen führen werde.
1 https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/european-green-deal/delivering-european-green-deal_de
2 https://bak.de/politik-und-praxis/klima-energie-und-ressourcen/energie/gesetze-und-richtlinien/eu-gebaeuderichtlinie/#neue-aufgabengebiete-als-chance-und-als-anreiz-zur-spezialisierung